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Björn Höckes Exkulpation

Bereits am 18. Januar 2017, also einen Tag später, gab Björn Höcke ein Statement ab zur Kritik an seiner Rede in Dresden. Er sah in der Kritik eine böswillige Verleumdung und fühlte sich Mißverstanden, generierte sich auf diese Weise als Opfer. Auch dies Statement sollte absatzweise einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

Höcke schrieb:

Ich bin erstaunt über die Berichterstattung zu meiner Rede vom 17. Januar in Dresden. Angeblich soll ich dort das Holocaust-Gedenken der Deutschen kritisiert haben. Diese Auslegung ist eine bösartige und bewusst verleumdende Interpretation dessen, was ich tatsächlich gesagt habe. Wörtlich habe ich gesagt: ,Wir Deutschen sind das einzige Volk, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.‘

Höcke präsentiert sich als Opfer einer verleumderischen böswilligen Interpretation und reisst den kritisierten Satz aus den Kontext seiner Rede.

Das heißt, ich habe den Holocaust, also den von Deutschen verübten Völkermord an den Juden, als Schande für unser Volk bezeichnet. Und ich habe gesagt, dass wir Deutsche diesem auch heute noch unfassbaren Verbrechen, also dieser Schuld und der damit verbundenen Schande mitten in Berlin, ein Denkmal gesetzt haben.

Wenn der Satz den Kontext verlassen hat, sind aufgrund des verwendeten Genitivs zwei Interpretationen zulässig. Wer allerdings die Rede in der Gesamtheit kennt, kann nur zum Ergebnis kommen, dass Höcke meint, dass das Denkmal selbst eine Schande sei. Denn warum ist er beispielsweise der Meinung, dass die Rede Weizsäckers am 8. Mai 1985 eine Rede gegen das deutsche Volk gewesen sei?

Was ist daran falsch? Was ist an dieser Feststellung zu kritisieren? Gar nichts! Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Rede Martin Walsers vom 11. Oktober 1998 anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche erinnern. Damals sagte Walser: ,In der Diskussion um das Holocaustdenkmal in Berlin kann die Nachwelt einmal nachlesen, was Leute anrichteten, die sich für das Gewissen von anderen verantwortlich fühlten. Die Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Alptraum. Die Monumentalisierung der Schande.‘ Er sprach sogar von einer ,Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken‘.

Höcke versucht, durch den Verweis auf Martin Walser, sich selbst zu entlasten. Er übergeht dabei zwei Dinge:

1. Die Rede von Walser war seinerzeit selbst höchst umstritten, auch damals wurde eine breite öffentliche Diskussion entfacht durch dei Aussagen Walsers.

2. Walser kritisiert das Mahnmal und seinen Zweck heftig, spricht aber eben auch klar von einer "Monumentalisierung der Schande". Dies bedeutet, dass hier die Tat selbst als Schande bezeichnet wird, nicht das daraus resultierende Denkmal.

Unzweifelhaft haben wir mit dem Holocaust-Mahnmal in Berlin unserer Schande ein Denkmal gesetzt. Der Begriff ,Denkmal der Schande‘ stammt übrigens gar nicht von mir, sondern ist schon vor langer Zeit zumindest in den politischen Sprachgebrauch eingegangen. So heißt es etwa in einer Drucksache (14/3126) des Deutschen Bundestages: ,Denkmäler der Schande und der Trauer, des Stolzes und der Freude sind notwendige Grundsteine des neuen Deutschland und der neuen Bundeshauptstadt.‘

Auch hier versucht Höcke durch den Verweis auf Zitate anderer mit ähnlichem Sprachgebrauch, sich selbst zu entlasten und seinen Sprachgebrauch in einen anderen Kontext zu setzen.

Bei der hier erwähnten Bundestagsdrucksache 14/3126 handelt es sich um den Antrag zur Errichtung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals auf der Berliner Schlossfreiheit vom 6. April 2000. Aus dem Kontext des Antrages geht eindeutig hervor, dass nicht das Denkmal selbst eine Schande sei, sondern die tat, an der mit Hilfe des Denkmals erinnert werden soll, also das Gegenteil vom Kontext der Rede Höckes.

"Wir Deutsche tun uns schwer mit Denkmälern und Gedenkstätten. Es wird auch um ein Denkmal der Deutschen Einheit Streit geben. Die Unfähigkeit zu feiern und die Unfähigkeit zu trauern gehören zusammen. Sie können auch nur zusammen überwunden werden. Denkmäler der Schande und der Trauer, des Stolzes und der Freude sind notwendige Grundsteine des neuen Deutschland und der neuen Bundeshauptstadt."

Quelle: Bundestagsdrucksache 14/3126

Zur Vollständigkeit hier der Antrag im vollständigen Wortlaut:

Deutscher Bundestag Drucksache 14/3126 14. Wahlperiode 06. 04. 2000

Antrag

[es folgt die namentliche Auflistung der Antragsteller]

Errichtung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals auf der Berliner Schlossfreiheit

Der Bundestag wolle beschließen:

1. Die Bundesregierung wird aufgefordert, in Erinnerung der friedlichen Revo- lution vom Herbst 1989 und der staatlichen Einheit Deutschlands am 3. Ok- tober 1990 ein Einheits- und Freiheitsdenkmal zu errichten.

2. Die Bundesregierung sollte prüfen, inwiefern sie in enger Abstimmung mit dem Berliner Senat zum 3. Oktober 2000, dem 10. Jahrestag der Deutschen Einheit, einen internationalen Wettbewerb zur Errichtung eines solchen Denkmals ausloben kann.

3. Die Bundesregierung wird gebeten, das Anliegen der Initiative Denkmal Deutsche Einheit, das von zahlreichen Persönlichkeiten unterstützt wird, in eine entsprechende Planung einzubeziehen. Danach soll dieses Denkmal an zentralem Ort in Berlin, gedacht ist an den Sockel des alten Nationaldenk- mals auf der Berliner Schlossfreiheit, errichtet werden.

Berlin, den 6. April 2000

[erneute Auflistung der Antragssteller]

Begründung

Im vergangenen Jahr hat der Deutsche Bundestag ausführlich die friedliche Revolution vom Herbst 1989 und den Fall der Berliner Mauer gewürdigt. Beide im Zusammenhang stehende Ereignisse waren von großer nationaler, euro- päischer und internationaler Tragweite und haben einen dauernden Platz im öffentlichen Gedächtnis verdient. In den Geschichtsbüchern ist dies bereits geschehen. Es wäre äußerst sinnvoll, dieses Geschichtsbewusstsein durch ein geeignetes Denkmal in der Mitte Berlins wach zu halten und zu unterstützen.

Mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze endete ein Jahrhundert zweier Weltkriege und zweier auf Weltherrschaft gerichteter totalitärer Diktaturen. Die Wende brachte das Ende eines halben Jahrhunderts Teilung des Landes, seiner Hauptstadt und seiner Nation. Sie war zugleich ein europäisches Phänomen: Ohne den Prager Frühling, ohne Polens Solidarnosc, ohne Glasnost und ohne die Öffnung der ungarischen Grenzen hätte es die Wende nicht gegeben, ohne die zahllosen Opfer, die den Weg bereiteten, nicht die friedliche Revolution. Sie wäre aber auch ohne die westliche Entspannungspolitik nicht möglich gewesen.

Was in der Revolution von 1848 noch misslang, wurde nach 1989 zum europäischen Ereignis: Der Sieg der freiheitlichen, demokratischen und nationalen Bewegungen. Damit hat der Prozess der europäischen Einigung erst seine ge- samteuropäische Dimension erhalten. In den jahrhundertlangen religiösen und ideologischen Grabenkriegen Europas waren die Deutschen – in der Mitte des Kontinents von innerer Zerrissenheit und Ruhelosigkeit geprägt – Täter, aber auch Leidtragende. Mit der friedlichen Revolution, der Wiedervereinigung in Freiheit und der Anerkennung der Grenzen sind wir gleichberechtigte Partner in der Völkergemeinschaft geworden. Ein Freiheits- und Einheitsdenkmal der friedlichen Revolution wäre zugleich Überwindung und Vollendung: Überwin- dung eines martialischen Nationalismus und Vollendung der demokratischen Revolution von 1848.

Es gibt einen Ort im Herzen der wiedervereinigten Hauptstadt, der geradezu darauf wartet, als Denkmal neu gestaltet zu werden. Vom Berliner Schloss aus wurde Deutschland unter Bismarck zum ersten Mal geeint: von oben. Dafür stand ein pompöses Reiterdenkmal für Kaiser Wilhelm I. Der Kaiser hoch zu Ross ist nicht mehr. Aber der gewaltige Sockel harrt einer neuen Bestimmung. In der Nachbarschaft dieses Ortes tagte die frei gewählte Volkskammer und fasste am 23. August 1990 den Beitrittsbeschluss. Im Kronprinzenpalais wurde am 31. August 1990 der Einigungsvertrag unterzeichnet. Die revolutionäre Volksbewegung im Herbst 1989 mündete, von Leipzig ausgehend, in der größten Demonstration mit fast 1 Million Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz.

Es gibt noch kein Freiheits- und Einheitsdenkmal der friedlichen Revolution. Das Denkmal soll Rückblick, aber auch Anstoß sein, Anstoß, den demokrati- schen Aufbruch jener Tage fortzusetzen, sich regende alte Geister zu bannen und Demokratie und Einheit zu festigen. Das Denkmal soll symbolischer Mit- telpunkt und Treffpunkt der streitbaren Demokratie werden.

Unser erstes Ziel ist die Auslobung eines internationalen Ideenwettbewerbs unter Künstlern und Architekten durch Bundesregierung und Berliner Senat. Der Wettbewerb sollte unter der Losung stehen: Wir sind das Volk! – Wir sind ein Volk!

Wir Deutsche tun uns schwer mit Denkmälern und Gedenkstätten. Es wird auch um ein Denkmal der Deutschen Einheit Streit geben. Die Unfähigkeit zu feiern und die Unfähigkeit zu trauern gehören zusammen. Sie können auch nur zu- sammen überwunden werden. Denkmäler der Schande und der Trauer, des Stolzes und der Freude sind notwendige Grundsteine des neuen Deutschland und der neuen Bundeshauptstadt.

Mit dieser Begründung wandten sich im Mai 1998 die Initiatoren für ein Denk- mal Deutsche Einheit, der Direktor des ARD-Hauptstadtstudios, Jürgen Engert, der Rechtsanwalt und letzte, frei gewählte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, der Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, Florian Mausbach, und der Bundestagsabgeordnete von Berlin-Mitte, Günter Nooke, die jeweils als Privatpersonen aktiv wurden, an den damaligen Bundes- kanzler, Dr. Helmut Kohl, die damalige Bundestagspräsidentin, Prof. Dr. Rita Süssmuth, den damaligen Bundesratpräsidenten, Gerhard Schröder, und den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen. Sie baten damit um Unterstützung für die Errichtung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals. Viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterstützen dieses Anliegen.

Nach den Diskussionen zu den Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag des Mauer- falls wäre es im zehnten Jahr der Deutschen Einheit ein gutes und richtiges Signal, diesem historischen Ereignis in der deutschen Geschichte in der Mitte der deutschen Bundeshauptstadt angemessen zu gedenken.

 

In den weiteren Ausführungen seines Statements versucht Höcke, sich zu retten:

In meiner Dresdner Rede ging es mir darum, zu hinterfragen, wie wir Deutschen auf unsere Geschichte zurückblicken und wie sie uns im 21. Jahrhundert identitätsstiftend sein kann. Zweifellos müssen wir uns in unserer Selbstvergewisserung der immensen Schuld bewusst sein. Sie ist ein Teil unserer Geschichte. Aber sie ist eben nur ein Teil unserer Geschichte. Auch darauf habe ich in meiner Dresdner Rede hingewiesen.

In seiner gesamten Rede ist von einem immensen Schuldbewusstsein nur in einem negativen Kontext die Rede, denn in seiner Dresdner Rede spricht er von einer "systematischen Umerziehung". Dies Vokabular wäre nicht notwendig, wenn er sich dessen bewusst wäre, dass der Holocaust eben nur ein Teil der deutsche Geschichte ist und man trotz der nationalsozialistischen Vergangeheit auf die deutsche Geschichte zurück blicken kann. Statt dessen verstellt, so geht aus der Dresdner Rede hervor, der Holocaust den Blick auf die positiven Aspekte der deutschen Geschichte, weswegen eben dieser herunter gepielt werden muss. Er hinterfragt nicht kritisch, wie er in seiner Exkulpation behauptet.

Abschliessend verweist Höcke auf den Architekten des Mahnmals, Eisenman, der in einem Interview im "Spiegel" ebenfalls die Schuldfrage thematisierte:

Sogar der Architekt des Mahnmals, Peter Eisenman, ein Jude, wies 2005 auf die Problematik hin, die Schuld zum Kern nationalen Gedenkens zu erheben. In einem ,Spiegel‘-Interview sagte Eisenman: ,Natürlich nahm der Antisemitismus in Deutschland in den Dreißigern überhand, ein schrecklicher Moment in der Geschichte. Aber wie lange fühlt man sich schuldig?‘ Und weiter: ,Ich hoffe, dass dieses Mahnmal, mit seiner Abwesenheit von Schuldzuweisung, dazu beiträgt, über diese Schuld hinweg zu kommen. Man kann nicht mit Schuld leben. Wenn Deutschland das täte, müsste das ganze Volk zum Therapeuten gehen.‘

Der von Höcke zitierte Wortlaut findet sich in einem Interview mit dem Architekten anlässlich der Eröffnung des Mahnmals 2005. Und natürlich steht auch diese Aussage in einem Zusammenhang, dem Höcke keinerlei Beachtung schenkt.

Mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass es sich bei dem Architekten um einen Juden handelt, versucht Höcke, seiner Aussage eine besondere Legitimität zu verschaffen. Hierbei allerdings verwendet er exakt den Topos, den er in seiner Rede kritisiert. Die Betonung des Juden Eisenmans ist ja gerade Ausdruck der unvollständig verarbeiteten Schuld, des Schams, einen Juden nicht unbefangen gegenüber zu stehen. Und genau das aber kritisiert Eisenman im Interview ebenfalls. Und gerade Eisenmann verbittet sich in diesem Interview jede besondere Behandlung als Jude: "Aber behandeln Sie mich als eigenständige Person, nicht als Juden" (Eisenman im Interview, Mai 2005). Höcke beachtet dies in keiner Weise.

10. Mai 2005, 16:21 Uhr

Interview mit Mahnmal-Architekt Peter Eisenman "Es ist kein heiliger Ort"

Heute wurde das Holocaust-Mahnmal von Peter Eisenman offiziell in Berlin eröffnet. SPIEGEL ONLINE sprach mit dem Architekten über die Schuld der Deutschen, die Bedeutung der Gedenkstätte und warum er keine Angst vor Graffiti hat.

SPIEGEL ONLINE: Berlin hat über Jahre mitverfolgt, wie das Mahnmal Gestalt annahm. Sie haben beinahe sechs Jahre lang daran gearbeitet. Sind Sie froh, dass es vorbei ist?

Eisenman: Nein. Sicher nicht. Das ist, als würde man sagen, man sei froh zu sterben. Ich höre nicht gern auf. Ich bin jemand, der gerne anfängt. Und ich frage mich ständig, was das nächste Projekt sein wird, das finde ich aufregend. Das Ende, sage ich immer, ist wie die Schwangerschaft einer Frau. Wenn sie das Kind bekommt, ist sie glücklich darüber, aber dann gibt es noch die postnatale Depression, weil sie das Kind nicht mehr austragen kann.

SPIEGEL ONLINE: Sind Sie mit Ihrer Arbeit zufrieden? Sieht es so aus, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Eisenman: Für mich ist von Bedeutung, wie viel ich während des Projekts gelernt habe. Erst gestern habe ich zum ersten Mal gesehen, wie Menschen hinein gelaufen sind, und es ist erstaunlich wie diese Köpfe verschwinden - als würden sie in Wasser abtauchen. Primo Levi spricht in seinem Buch über Auschwitz von einem ähnlichen Bild. Er schreibt, dass die Gefangenen nicht mehr lebendig, aber auch nicht tot waren. Sie waren vielmehr in eine Art persönlicher Hölle herabgestiegen. Ich musste, während ich die Köpfe im Mahnmal verschwinden sah, plötzlich an diese Passage denken. Man sieht nicht häufig, dass Menschen in etwas verschwinden, das flach erscheint.

SPIEGEL ONLINE: Diesen Effekt hatten Sie nicht geplant, als sie das Mahnmal entwarfen?

Eisenman: Nein, hatte ich nicht. Man betet und betet, dass sich so etwas zufällig ergibt, weil man wirklich nicht weiß, wie das Resultat aussehen wird. Zum Beispiel habe ich es mir nicht vorstellen können, dass die Geräusche darin so gedämpft sein würden. Man hört nichts außer den eigenen Schritten. Und dann der Boden: Wir wollten nicht die Erde vor Ort verwenden, weil der Boden für die Deutschen steht. "Blut und Boden" war das ideologische Moment, das die Juden von den Deutschen trennte. Und hier ist der Boden sehr uneben und schwierig. Gestern ist meiner Frau schwindelig geworden, als sie durch das Mahnmal lief, weil es in mehrere Richtungen abschüssig ist.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es etwas, das Ihnen an Ihrer Arbeit missfällt?

Eisenman: Ich glaube, es ist ein bisschen zu ästhetisch. Es sieht ein wenig zu gut aus. Nicht, dass ich etwas Hässliches wollte, aber ich wollte nichts, das nach Design aussieht. Ich wollte das Gewöhnliche, das Banale. Wenn man ein Bild zeigen will, dann sollte man es einfach zeigen und nicht zu viel Zeit aufwenden, um es zu gestalten. Und leider sieht es etwas zugestaltet aus.

SPIEGEL ONLINE: Viele sagen, es sähe aus wie ein Friedhof.

Eisenman: Ich kann mich damit nicht beschäftigen. Jemand sagt, es sieht wie ein Friedhof aus, der nächste sagt, es sieht wie eine Stadtruine aus, und wieder einer meint, es sieht aus, als käme es vom Mars: Jeder Mensch muss es an den Dingen festmachen, die er kennt. Es gab am Samstag eine Luftaufnahme in der Zeitung - ein wunderschönes Foto. Ich habe noch nie einen Friedhof gesehen, der so aussieht. Wenn man hineinläuft, dann fühlt es sich gewiss auch nicht so an. Aber wenn Leute es so sehen, kann man sie nicht abhalten. Es ist in Ordnung.

SPIEGEL ONLINE: Wollten Sie eine bestimmte Stimmung, ein bestimmtes Gefühl hervorrufen?

Eisenman: Ich habe immer gesagt, dass ich in den Menschen ein Gefühl erzeugen wollte, in der heutigen Zeit zu sein und dass sie eine Erfahrung machen sollen, die sie noch nie vorher gemacht haben. Eine, die sich unterscheidet und ein wenig beunruhigend ist. Die Welt ist von Information überfüllt, und hier gibt es einen Ort ohne Information. Das ist, was ich wollte.

SPIEGEL ONLINE: Angeblich waren Sie gegen den Bau des "Ortes der Information" unter dem Mahnmal.

Eisenman: War ich. Aber als Architekt gewinnt man in manchen Punkten, an anderer Stelle verliert man.

SPIEGEL ONLINE: Für wen wurde das Mahnmal erbaut? Für die Juden?

Eisenman: Es ist für die Deutschen. Ich glaube nicht, dass es je für Juden gedacht war. Es ist eine wundervolle Geste des deutschen Volkes, dass sie etwas ins Zentrum ihrer Stadt setzen, das sie erinnert - erinnern könnte - an die Vergangenheit.

SPIEGEL ONLINE: Sie meinen einen Ausdruck von Schuld?

Eisenman: Nein. Für mich ging es nicht um die Schuld. Wenn ich die Deutschen betrachte, habe ich nie das Gefühl, dass sie schuldig sind. Ich habe auch in den USA Antisemitismus erlebt. Natürlich nahm der Antisemitismus in Deutschland in den Dreißigern überhand, ein schrecklicher Moment in der Geschichte. Aber wie lange fühlt man sich schuldig? Können wir das hinter uns lassen? Ich dachte immer, dass es beim Mahnmal um den Versuch ging, diese Schuldfrage zu überwinden. Jedes Mal, wenn ich hierher komme, dann fühle ich mich als Amerikaner. Aber wenn ich dann wieder abreise, fühle ich mich als Jude. Es kommt daher, dass die Deutschen, weil ich Jude bin, alles tun, damit ich mich wohl fühle. Und dadurch fühle ich mich schlecht. Ich kann damit nicht umgehen. Hören Sie auf, mir ein gutes Gefühl verschaffen zu wollen. Wenn Sie Antisemit sind, in Ordnung. Wenn Sie mich persönlich nicht leiden können, in Ordnung. Aber behandeln Sie mich als eigenständige Person, nicht als Juden. Ich hoffe, dass dieses Mahnmal, mit seiner Abwesenheit von Schuldzuweisung, dazu beiträgt, über diese Schuld hinweg zu kommen. Man kann nicht mit Schuld leben. Wenn Deutschland das täte, müsste das ganze Volk zum Therapeuten gehen.

SPIEGEL ONLINE: Das Mahnmal ist speziell der Erinnerung an die Juden gewidmet, die im Holocaust gestorben sind. Finden Sie es richtig, dass andere Opfer des Holocaust von diesem Mahnmal ausgeschlossen sind?

Eisenman: Ja, das glaube ich. Ich habe meine Meinung dazu vor ein paar Monaten geändert. Je mehr ich über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs las, desto mehr wurde mir bewusst: Je schlechter der Krieg in Russland lief, desto mehr Juden wurden von den Nazis umgebracht. Als den Nazis klar wurde, dass sie die Bolschewisten nicht besiegen könnten, haben sie dafür gesorgt, dass die Juden nicht entkommen. Ich denke, es ist richtig, dass das Projekt nur für die Juden ist.

SPIEGEL ONLINE: Ihr Projekt wurde 1999 aus Hunderten von Vorschlägen ausgewählt. Worin bestand die größte Herausforderung in den vergangenen sechs Jahren?

Eisenman: Das Projekt war stark politisiert. Und für mich war es schwierig, mit diesem politischen Prozess zu Recht zu kommen. Ich bin Amerikaner und verstehe hiesige Empfindlichkeiten oder den Humor, der hier vorherrscht, nicht. Manchmal war es schwer, all dem gerecht zu werden. Es gab eine Menge Probleme, und wenn man in einem Raum mit 20 Politikern verschiedener Couleur am Tisch sitzt, hat jeder eine Meinung. Das ist wunderbar, aber auch sehr ermüdend. Aber die besten Auftraggeber sind die Leute, die einen ins Schwitzen bringen.

SPIEGEL ONLINE: Jetzt, da das Mahnmal fertig gestellt und öffentlich zugänglich ist, wird es wahrscheinlich nicht lange dauern, bis das erste Hakenkreuz darauf gesprüht wird.

Eisenman: Wäre das denn so schlecht? Ich war von Anfang an gegen den Graffitischutz. Wenn ein Hakenkreuz darauf gesprüht wird, dann ist es ein Abbild dessen, was die Menschen fühlen. Wenn es dort bleibt, ist es ein Abbild dessen, was die Regierung davon hält, dass Menschen Hakenkreuze auf das Mahnmal schmieren. Das ist etwas, das ich nicht steuern kann. Wenn man dem Auftraggeber das Projekt übergibt, dann macht er damit, was er will - es gehört ihm, er verfügt über die Arbeit. Wenn man morgen die Steine umwerfen möchte, mal ehrlich, dann ist es in Ordnung. Menschen werden im dem Feld picknicken. Kinder werden in dem Feld Fangen spielen. Es wird Mannequins geben, die hier posieren, und es werden hier Filme gedreht werden. Ich kann mir gut vorstellen, wie eine Schießerei zwischen Spionen in dem Feld endet. Es ist kein heiliger Ort.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie ein Lieblings-Mahnmal?

Eisenman: Eigentlich bin ich gar nicht so begeistert von Mahnmalen. Ehrlich gesagt, mache ich mir gar nicht so viele Gedanken über sie. Ich denke mehr an Sport.

 

 

Das Interview führten Charles Hawley und Natalie Tenberg

 

Abschließend heisst es in Höckes Stellungnahme:

Außer uns Deutschen hat kein Volk der Welt in seiner Hauptstadt einen Ort des Gedenkens an die von ihm begangenen Gräueltaten geschaffen. Diese Fähigkeit, sich der eigenen Schuld zu stellen, zeichnet uns Deutsche aus.

Allerdings hat er dies in seiner Dresdner Rede nicht geäussert. Diese Fähigkeit hob ja u. a. auch richard von Wezsäcker in seiner Rede hervor. Aber warum greift Höcke diese Rede an? Weiter heisst es in seiner Stellungnahme:

Uns zeichnet aber auch etwas anderes aus: Wir haben den Buchdruck erfunden, Martin Luther stieß die Reformation an. Wir sind das Land der Philosophen, Dichter, Komponisten und Erfinder. Dieser großartige kulturelle Schatz gerät uns zuweilen aus dem Blick.

Höcke unterstellt, dass dieser kulturelle Schatz aus dem Blick geraten sei. Er tut so, als ob es kein Feiertag zur deutschen Einheit gäbe, dass es keine unterschiedlichen Inhalte des Gedenkens am 8. November gäbe und unterschlägt viele andere positiv besetzte Erinnerungen. In seiner Stellungnahme hier spricht er durchaus in moderaten Tönen, dieser Schatz geriete "uns zuweilen aus dem Blick" (Hervorhebung von mir). In seiner ursprünglichen Dresdner Rede wird von einem "zuweilen" nicht gesprochen.

Auch das habe ich in Dresden gesagt, und es war der eigentliche Kern meiner Aussage. Schuldbewusstsein allein kann keine gesunde Identität stiften, sondern nur eine gebrochene. Und auch das muss uns klar sein: Die für uns alle sichtbaren Integrationsprobleme in diesem Land resultieren auch aus dieser unserer gebrochenen Identität.“

Abschließend gelingt es Höcke in AfD-typischer Manier, diese Thematik wieder mit Flüchtlings- und Ausländerpolitik unzulässig zu verknüpfen. Dabei ist es nicht die gebrochene Identität, die die Ursache der Integrationsprobleme ist. Nach AfD-Manier liegt die Ursache einzig und allein bei den vermeintlich integrationsunwilligen Menshen aus dem außereuropäischenkulturkreis, nicht zuletzt Höcke selbst spricht den Menschen, die aus seiner Sicht "Fremde" sind, jegliche Integrationsfähigkeit pauschal ab, zum Beispiel auf seiner ebenfalls berüchtigten Rede auf dem neurechten Kongress des Instituts für Staatspolitik in Schnellroda im November 2015 mit dem Titel "Ansturm auf Europa".

Es sind tatsächlich deutsche Traditionen, die einer Integration im Weg stehen, aber andere, als Höcke sich vorstellt. Meines Erachtens war es das viel zu lange Festhalten am sg. "ius sanguinis", dem Abstammungsprinzip, das die Staatsangehörigkeit von Kindern abhängig ist von der der Eltern, selbst wenn sie hier in Deutschland geboren sind. So wuchs man in Deutschland auf, ohne Deutscher mit allen rechten, aber auch Pflichten, sein zu können. Diese Praxis hat ihren Ursprung im Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) von 1914 und wurde erst im Jahr 2000 mit einer Reform ergänzt um sdas ius soli (Geburtsortprinzip). ergebnis war der umgangsprachlich so genannte "Doppelpaß" mit Optionspflicht. Erst mit dem 18. Jahr durften und mussten die Kinder sich zwischen den Staatsbürgerschaften entscheiden,a lso auch diese wuchsen 18 Jahre als nicht vollwertige Deutsche auf.

Widerum erst seit 2014 entfiel auch die Optionspflicht für in Deutschland aufgewachsene Kinder.

Dass Höckes Exkulpation bloße Makulatur ist, geht auch hervor aus seiner ein Jahr später gehaltenen Rede auf dem Kyffhäusertreffen am 23. Juni 2018. Hier sagte er u. a., nachdem er den westlichen Lebenstil pauschal als "dekandent" abqualifizierte:

und bei unseren deutschen Landsleuten wird dieser Befund nochmals verstärkt durch die bekannte Schuldneurose, die bereits eine psychotische Qualität annimmt

Auch hier unterstellt Höcke eine immerwährende Schuld und bringt diese in Verbindung mit mangelnder Integration von Flüchtlingen:

und die zu skurrilsten historisch wahrscheinlich einzigartigen Phänomen geführt hat wie beispielsweise die von mir diagnostizierte kollektive Autoaggressivität [Applaus], kollektive Autoaggressivität, man könnte das ganze noch um eine kollektive kulturelle Autoaggressivität erweitern. Ja, liebe Freunde denn was ist es denn anderes als ein Symptom kollektiver Autoaggressivität, wenn es ein Volk hinnimmt, dass im eigenen Land täglich tausende seiner Kinder und Jugendliche die Schulen als Angstraum erleben, weil sie dort von Migranten-Machos gemobbt, gequält und geschlagen werden

Bereits diese hier kurz zitierten Passagen aus seiner Rede im Juni 2018 stehen ja den Ausführungen seiner Exkulpation diametral entgegen und bestärken den Inhalt der Dresdner Rede im Januar 2017.

Quellenangaben:

Die Stellungnahme Höckes findet sich uinter dieser URL, zuletzt eingesehen am 26. 1. 2019

Die Bundestagsdrucksache findet sich unter dieser URL, zuletzt eingesehen am 26. 1. 2019

"Es ist kein heiliger Ort": Interview mit Mahnmal-Architekt Peter Eisenman, in: Der Spiegel, 10. 5. 2005, Link zuletzt eingesehen am 26. 1. 2019

Die Kyffhäuser-Rede auf Youtube, Link zuletzt eingesehen am 26. 1. 2019, die hier zitierte Passage findet man ab Minute 12:06